Bruno Behrend, geb. 28.10.1898, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Else Behrend, geb. Blank, geb. 24.4.1901, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Ursula Behrend, geb. 23.03.1930, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Wandsbeker Zollstraße 89 (Zollstraße 14–16)
Unter die vielfältigen Gerüche, die einst durch die Straßen Wandsbeks zogen, und an Gewürze, Hefe, Tabak und Malz erinnerten, mochte sich auch der Duft nach Kakao und gebrannten Mandeln gemischt haben. Denn in der Zollstraße 14–16 betrieben Bruno und Else Behrend ein Einzelhandelsgeschäft, in dem Schokoladen- und Zuckerwaren größtenteils selbst hergestellt wurden. Die Eheleute hatten 1927 in Hamburg geheiratet, wo sie in der Bundesstraße 95 wohnten. Am 23. März 1930 wurde die Tochter Ursula Lilli geboren. Anfang 1933 zog die Familie nach Wandsbek, anfangs in die Lübeckerstraße 106 und danach weiter östlich in die Zollstraße 16. Über einen Zwischenaufenthalt in der Rauchstraße 4 kehrten sie in die Zollstraße zurück.
Bruno Behrend wurde am 28. Oktober 1898 als Sohn der Rebekka Behrend, geb. Mahler, in Hamburg geboren. Sein leiblicher Vater war – wie Behrend erst später erfuhr – Arnold Dürkop, der kein Jude war. Über Behrends Schulzeit und beruflichen Werdegang ist nicht viel bekannt. Aus einer Aktennotiz geht hervor, dass er bei der Firma Paul Schröder als Bonbonkocher arbeitete, also über Erfahrungen in der Süßwarenbranche verfügte.
Seine Ehefrau war die Tochter von Albert Blank und Hedwig, geb. Dessauer. Else Behrend wurde am 24. April 1901 in Steinhude/Hannover geboren. Sie hatte einen älteren Bruder. Nach dem Besuch der Grundschule in Rehburg besuchte sie die Schule in Rinteln und beendete ihre Ausbildung auf der dortigen höheren Mädchenschule.
Dank ihrer Mitgift konnte Else Behrend zusammen mit ihrem Ehemann die bereits bestehende Fabrik zur Herstellung von Konfekt und Marzipan in Wandsbek übernehmen, wobei Bruno Behrend als alleiniger Inhaber fungierte. Neben dem Detail-Geschäft für Süßwaren wurde auch en gros an Einzelhändler geliefert. Das Detail-Geschäft führte Else Behrend allein, im Übrigen erledigte sie die anfallenden Büro- und Buchhaltungsarbeiten. Auf dem Grundstück befand sich ein Verkaufsraum, dem im Hof eine Werkstatt zur Herstellung der Süßwaren angeschlossen war. In dem Betrieb waren außer Bruno Behrend noch zwei bis drei Arbeitskräfte beschäftigt. Nach der Erinnerung des späteren Aufkäufers der Einrichtung ging das Geschäft sehr gut, weil die Inhaber qualitativ hochwertige Produkte herstellten.
Die Wohnung der Familie befand sich im selben Haus. Es handelte sich um eine geräumige Dreizimmerwohnung mit Nebenräumen, die gut bürgerlich eingerichtet war. Die Familie beschäftigte eine Putzfrau; ein Auto war vorhanden. Alles schien sich günstig zu entwickeln, bis das Geschäft 1935 auf einem NS-Hetzflugblatt mit aufgelistet wurde. 1939 musste der Betrieb aufgegeben werden, zudem kriselte die Ehe. Else Behrend hatte durch ihren Anwalt am 19. Dezember 1938 die Scheidung eingereicht, die Anfang Februar 1939 wirksam wurde. Sie zog mit ihrer Tochter zu ihren Eltern, die mittlerweile von Fürsorgeunterstützung lebten, in die Pelzerstraße 9 I. Sie selbst erhielt von ihrem Ehemann an Unterhalt 20 RM pro Woche und im folgenden Jahr die doppelte Summe.
Else Behrends Eltern hatten 1931 ihr Textilgeschäft in Rinteln aufgegeben und waren nach Hamburg gezogen, in die Nähe ihrer verheirateten Tochter. Die Mutter, Hedwig Blank, betrieb eine Wäscherei-Annahmestelle mit Heißluftmangel in der Pastorenstraße 20. Die Wohnung befand sich in Altona, Große Gärtnerstraße 25. Später zogen die Eheleute in die Hamburger Neustadt, Pelzerstraße 9 II.
Auch Bruno Behrend war 1939 in der Pelzerstraße 9 gemeldet. Er bemühte sich jetzt um die Anerkennung als "Mischling 1. Grades", da sein Vater ja kein Jude gewesen war. In einem Vermerk der Devisenstelle von Juni 1939 hieß es: "... hat sich erst jetzt herausgestellt, dass er Mischling I. Grades ist. B. hat bis Anfang Febr. 33 der jüdischen Religion angehört und ist dann ausgetreten. B. war mit einer Jüdin verheiratet. Ehe seit Jan. 39 geschieden." Nach einem Eintrag auf der Kultussteuerkarte hatte er seinen Austritt jedoch erst am 4. Mai 1938 erklärt.
Wahrscheinlich ist, dass er 1933 bei seiner Übersiedlung aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde ausgetreten und in die Jüdische Gemeinde Wandsbek eingetreten war.
1939 wurde das Geschäft der Eheleute Behrend geschlossen, ohne an einen "arischen" Nachfolger überzugehen. Bruno Behrend hätte den Betrieb gern verkauft, doch der zuständige Senator Wilhelm von Allwörden verweigerte im Juni 1939 dafür die Genehmigung. Behrend konnte lediglich Einrichtung und Warenvorräte veräußern. Sie gingen für 300 RM an den Inhaber der späteren Hamburger Kakao- und Schokoladenfabrik Gustav Hamester.
Obwohl nun im Sinne der Devisenstelle alles unter Dach und Fach zu sein schien – es gab einen "jüdischen" Betrieb weniger, und die Eheleute Behrend besaßen auch kein Vermögen mehr – schaltete sich das dem Polizeipräsidium unterstellte Passamt ein. In einem Schreiben an das Finanzamt von Juli 1939 ging es um "Vorbereitende Maßnahmen zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland", wobei beide Namen der geschiedenen Eheleute aufgeführt wurden. Unter "Verdachtsgründe" hieß es: "Behrend ist wg. des Verdachts der Rassenschande festgenommen gewesen. Ihm ist die polizeiliche Auflage erteilt worden, unverzüglich seine Auswanderung zu betreiben. Termin ist erstmalig zum 1.10.39 gegeben." Das Delikt "Rassenschande" war ein übliches Druckmittel, um jüdische Geschäftsinhaber zur Aufgabe ihres Geschäftes zu zwingen, und wenn das bereits erfolgt war, um ihre Auswanderung zu forcieren.
Zur Auswanderung kam es nicht. Wohin hätte sich die nunmehr mittellose Familie auch wenden können? Else Behrends Bruder, Paul Blank, lebte zwar seit 1934 in Palästina, doch mit Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 bestand keine legale Auswanderungsmöglichkeit mehr dorthin. Geringe Geldmittel und fehlende aufnahmebereite Staaten ließen Pläne zur Emigration – sollte die Familie sie betrieben haben – ins Leere laufen. So kamen Bruno, Else und Ursula Behrend schließlich dem Deportationsbefehl nach und bestiegen am 8. November 1941 den Zug nach Minsk. War Bruno Behrend als sogen. Halbjude überhaupt gezwungen mitzufahren? Hatten die Behörden ihm den "arischen" Vater nicht abgenommen oder hatte er sich freiwillig gemeldet aus Verantwortung gegenüber Frau und Tochter? Diese Fragen müssen hier ohne Antwort bleiben. Die aus Hamburg nach Minsk Deportierten blieben generell als Gruppe zusammen. Aus ihrer Mitte – sie waren die ersten dort Eingetroffenen – rekrutierte sich auch die Lagerleitung, darunter offenbar auch Bruno Behrend. Er ist nahezu der einzige von allen Wandsbeker Deportierten, über dessen weiteres Schicksal am Deportationsort Zeitzeugen berichtet haben, darunter auch sein Bruder Walter Mahler. Dieser wurde 1959 als Zeuge im Verfahren gegen den SS-Obersturmführer und Kriminaloberrat Georg Heuser vernommen und gab Folgendes über die Zustände im Minsker Getto zu Protokoll: "Im Januar 1942 wurde mein Bruder Bruno Behrend festgenommen, weil er über den ... Schutzpolizeibeamten ... Briefe in das Reichsgebiet gesandt hatte. Als die Antwort ankam, wurde mein Bruder festgenommen. Mit ihm wurden die Angehörigen des Judenrates, etwa 10 bis 11 Mann, gleichfalls festgenommen, weil diese für alle Angelegenheiten im Ghetto verantwortlich waren. Am 18.1.1942 wurden die genannten Personen festgenommen. ... Ende Februar 1942 wurden alle Personen exekutiert. Die Exekution wurde, vermutlich zur Abschreckung, im Ghetto vorgenommen, und zwar vor dem Sitz des Judenrates. Ich musste seinerzeit die Beerdigung meines Bruders selbst vornehmen." Nach der Aussage eines anderen Zeitzeugen fand die Exekution am 13. April 1942 statt, wobei acht Mitglieder der Lagerleitung, allesamt Hamburger, ermordet wurden. "Die anderen sieben wurden, auf einem Lastwagen liegend, in den Hof des Lagers gefahren. Von Fußtritten und Peitschenhieben begleitet, mussten sie einzeln von dem Wagen herunterklettern, sich mit dem Gesicht zur Erde gewandt hinlegen und sich mit den Füßen ausrichten. Dann stellte sich SS-Obersturmführer Burckhardt dorthin, wo ihre Füße lagen und erschoss erst den rechten Flügelmann ... und wiederholte das Manöver ... so lange, bis der letzte erschossen war."
Ob Else und Ursula Behrend zu dieser Zeit noch am Leben waren, ist nicht geklärt.
Die Eltern von Else Behrend wurden am 15. Juli 1942 von der Bundesstraße 43 nach Theresienstadt deportiert. Nur zwei Wochen später verstarb Albert Blank dort. Seine Frau, Hedwig Blank, wurde weiterdeportiert und im Todeslager Maly Trostinez ermordet.
© Astrid Louven
Diese Biographie entstand im Rahmen des Projektes „Stolpersteine in Hamburg – biographische Spurensuche“ unter Leitung von Dr. Rita Bake (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg) und Dr. Beate Meyer (Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg).