Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Belmonte Willibald

Belmonte Willibald

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Deutschland
Geburtsort 
Hamburg
Beruf 
Kaufmann
Deportationsdatum 
1941 November 8
Unterbringung/Inhaftierung 
Minsker Ghetto
Schicksal 
Todesdatum und -umstände unbekannt
Berichtsart 
Familiengeschichte

Gustav Abendana Belmonte, geb. am 13.8.1891 in Hamburg, inhaftiert im KZ Fuhlsbüttel 1938/1939, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, deportiert nach Auschwitz am 16.10.1944

Jenny Belmonte, geb. Simon, geb. am 21.12.1860 in Altona, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, dort gestorben am 13.5.1944

Alfred Abendana Belmonte, geb. am 4.9.1895 in Hamburg, ermordet am 29.4.1939 im KZ Fuhlsbüttel

Paul Abendana Belmonte, geb. am 2.6.1894 in Hamburg, ermordet am 29.4.1939 im KZ Fuhlsbüttel

Salomon Abendana Belmonte, geb. am 29.9.1890 in Hamburg, ermordet am 30.4.1939 im KZ Fuhlsbüttel

Willibald Abendana Belmonte, geb. am 27.9.1892 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Eppendorfer Weg 62

Die portugiesisch-jüdische Familie Belmonte, deren Vorfahren möglicherweise schon seit dem 17. Jahrhundert in Hamburg ansässig waren, ist nicht untypisch für alteingesessene, wohlhabende Hamburger Juden, deren Assimilationsprozess mit sozialem Aufstieg einherging. Salomon Abendana Belmonte (geb. 1843), promovierter Jurist, wurde Rechtsanwalt, Kaufmann sowie Journalist und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Reform", war Mitglied der Loge "Ferdinande Caroline" und gehörte bis zu seinem Tod 1888 der Hamburgischen Bürgerschaft an. Darüberhinaus bekleidete er das Amt eines Vorstandsmitgliedes in der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Sein Bruder Michael Abendana Belmonte (geb. 1855, gest. 1939) betätigte sich erfolgreich im Finanzwesen und gründete eine Bank, die er – später zusammen mit seinem Sohn Willibald – bis 1938 in bester Lage am Jungfernstieg 30 betrieb. Auch Michael Belmonte gehörte dem Vorstand der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde an, deren Synagogen in der Markusstraße bzw. in der Innocentiastraße 37 lagen. Die Eltern von Salomon Abendana Belmonte und Michael Abendana Belmonte hießen Salomon Abendana Belmonte und Brayne Belmonte, geb. Wagner.

Michael Belmonte und Jenny Simon heirateten am 20. Juni 1889. Aus der Ehe gingen fünf Söhne hervor: Salomon Abendana (geb. 1890), Gustav Abendana (geb. 1891), Willibald Abendana (geb. 1892), Paul Philipp Abendana (geb. 1894) und Alfred Isaac Abendana (geb. 1895), die sich später als Kaufleute betätigten. Als die Söhne geboren wurden, wohnte die Familie in der Marienstraße 59 in St. Pauli, der heutigen Simon-von-Utrecht-Straße.

Die Brüder und ihr Vater Michael Abendana Belmonte waren bis in die 1930er Jahre Inhaber verschiedener Firmen, wobei Privat- und Geschäftsadressen nach den Angaben in den Adressbüchern nicht eindeutig zu unterscheiden sind. Die Wohnung der Eltern befand sich im Eppendorfer Weg 62. Dort war auch der Sohn Willibald Abendana Belmonte gemeldet, mit dem Zusatz "in Firma Michael Belmonte".

1934/35 waren die Brüder Alfred und Paul Belmonte aus der Schanzenstraße 62 in die Schäferkampsallee 11 gezogen, gleichzeitig Anschrift ihrer Privatadresse sowie ihrer Firma P(aul) und A(lfred) Belmonte.

Im Haus Jungfernstieg 30 befand sich nicht nur die Bank von Michael Belmonte, sondern auch eine von Paul und Alfred Belmonte betriebene Kommissionsniederlassung. Beide Firmen wurden 1938 in den Neuen Wall 54/60 verlegt.

Was konnten die Belmontes, die fünf erwachsenen, nicht unvermögenden, im Banken- und Geschäftsleben stehenden Söhne "in den besten Jahren" in der bedrängten Situation des Jahres 1938 unternehmen, um ihren Ruin aufzuhalten? Als Bankiers dürften sie in der Lage gewesen sein, abzuschätzen, welche Folgen die restriktiven Maßnahmen der Devisenstellen nach sich zogen, auswanderungswilligen Juden durch Steuern, Abgaben und "Sicherungsan­ordnungen" ihr Vermögen bzw. die freie Verfügung darüber zu entziehen. In einem Prüfungsbericht der Oberfinanzdirektion vom November 1938 über die Familie hieß es: "Auswanderungsabsichten sind nicht festgestellt worden". Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Belmontes versucht hätten, die Devisengesetzgebung zu umgehen, etwa in­dem sie illegal Geld ins Ausland transferierten. Gleichwohl überwachten die Devisenstellen die Bankiers und andere "kapitalfluchtverdächtige Personen" besonders scharf.

Gegen Michael Belmonte wurde im September 1938 eine "Sicherungsanordnung" erlassen, die sich auf den Inhalt seiner Bankschließfächer bezog, über die er fortan nur noch mit Genehmigung der Devisenstelle Hamburg verfügen durfte. Zuvor hatte die Zollfahndung die Schließfächer, die die Belmontes bei Banken unterhielten, durchsucht und die vorgefundenen Wertpapiere auf gesperrte Depots bei der Vereinsbank und der Deutschen Bank übertragen. Das geht aus einem Schreiben vom Oktober 1938 hervor, mit dem die Devisen- von der Zollfahndungsstelle über einen so genannten Kapitalfluchtverdacht gegen Michael und Willibald Belmonte unterrichtet wurde. Darüberhinaus regte die Zollfahndung die Anordnung einer Devisenprüfung an. Damit wollte man sich des Privatvermögens von Willibald Belmonte bemächtigen, was zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht möglich war, da zwischen seinem Firmen- und Privatvermögen noch nicht unterschieden werden konnte. Wegen der unterstellten Devisenvergehen wurde im Dezember 1938 auch gegen Willibald Belmonte eine "Sicherungsanordnung" erlassen. Nachfragen bei seinen Banken ergaben jedoch keinerlei Hinweise auf "Unregelmäßigkeiten". Seine Aktien im Depot der Vereinsbank waren ohnehin schon für das Finanzamt Hamburg-Neustadt gesperrt und bei der Deutschen Bank unterhielt er kein Privatdepot.

Der Novemberpogrom hatte für die Familie Belmonte gravierende Konsequenzen. Die Schließung der Firma Michael Belmonte stand kurz bevor, sie trat nach einem Aktenvermerk "mit dem 31.12.38 in Liquidation". Alfred und Salomon Belmonte gehörten zu den 900 Männern, die – meist aus wohlhabenden jüdischen Familien stammend – infolge des Pogroms ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht und später ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurden. Im Januar 1939 wurden sie entlassen, vermutlich deshalb, weil die Familie Auswanderungsvorbereitungen (für sie) getroffen hatte. Zur Auswanderung kam es jedoch nicht mehr. Die Zollfahndung leitete im April 1939 ein Ermittlungsverfahren wegen "dringenden Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Devisengesetz", u. a. gegen die Inhaber des Bankgeschäftes Michael Belmonte ein. Willibald und Gustav Belmonte wurden verhaftet und vernommen. Einzelheiten über die Zuwiderhandlung gehen aus den Akten nicht hervor. Anzunehmen ist, dass die Familie den als strafbar geltenden Versuch unternommen hatte, – wohlgemerkt eigene – Gelder oder Waren ins Ausland zu transferieren. Im Juli erschien in der Hamburger Presse ein Artikel, der weitere Aufschlüsse liefert. Darin hieß es, die Brüder Gustav und Willibald Belmonte hätten gegen die Anordnung verstoßen, ihren Besitz an Edelmetallen bei einer öffentlichen Ankaufsstelle des Reiches abzuliefern. Ihnen werde vorgeworfen, "eine goldene Uhr mit Kette, Manschettenknöpfe und Bestecke" nicht abgeliefert, sondern versucht zu haben, diese über Mittelsmänner nach Holland zu transferieren. Die Brüder wurden zu sechs bzw. zehn Wochen Gefängnis und einer Geldstrafe von je 200 Reichsmark verurteilt.

In Zusammenhang mit den eingeleiteten Ermittlungsverfahren ist auch die Verhaftung der Familie Ende April 1939 durch die Gestapo zu sehen: Am 26., 27. und 28. April wurden alle Belmonte-Brüder sowie ihre Mutter Jenny Belmonte von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht. Nach den Erinnerungen Max Plauts, dem Geschäftsführer des Jüdischen Religionsverbandes, wurden lediglich drei der Brüder verhaftet, ein vierter soll geflohen sein. Max Plaut nahm an einer Tagung teil, als er – vermutlich von der Gestapo – angerufen wurde und man ihm mitteilte: ",Die drei Belmonte-Brüder sind tot. Die haben sich erhängt.’ (…) Die waren auch tatsächlich alle drei am Fensterkreuz erhängt worden." Unter Aufsicht der Gestapo wurden die Leichen der Brüder Alfred, Paul und Salomon Belmonte von jüdischen Gemeindemitgliedern gewaschen. "Die Körper waren fürchterlich zugerichtet von Schlägen. Mit Werkzeugen müssen die geschlagen worden sein, sie waren alle drei bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet worden." Die Gestapo stellte die Totenscheine aus. Als Todesursache wurde bei allen "Selbstmord durch Erhängen" angegeben. Obwohl die Brüder vermutlich am selben Tag zu Tode gefoltert worden waren, hatte die Gestapo unterschiedliche Sterbedaten eingetragen: Alfred und Paul Belmonte starben danach am 29. April 1939 im Suhrenkamp 98, ihr Bruder Salomon einen Tag später. Im Suhrenkamp 98 befindet sich heute die Gedenkstätte Konzentrationslager und Strafanstalten Fuhlsbüttel. Michael Belmonte überlebte den Mord an seinen Söhnen nur um wenige Tage. Am 1. Mai 1939 starb er im Alter von 83 Jahren im Israelitischen Krankenhaus – möglicherweise infolge eines Selbstmordversuches. Im Sterberegister ist als Todesursache Sklerose und Pneumonie eingetragen. Die Liquidation seiner Firma wurde im September 1940 vom Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen durch die Einsetzung eines Liquidators, des Wirtschaftsprüfers Heinrich Mäurer, forciert. Von dem Verfahren betroffen waren auch Jenny Belmonte und ihre Söhne Gustav und Willibald, letzterer als Mitinhaber der Firma. Aus einem Schreiben des Liquidators geht hervor, dass die Firma über einen großen Besitz an Wertpapieren verfügte und eine Trennung von Geschäfts- und Privatpapieren noch immer nicht erfolgt sei. Deshalb schlage der Prüfer vor, die "Sicherungsanordnung" auf sämtliche Wertpapiere, die der Firma Michael Belmonte gehörten, auszudehnen. Fünf Monate später, Ende Februar 1941, war die Entflechtung des Vermögens abgeschlossen, so dass der Wirtschaftsprüfer die Beendigung der Liquidation der Firma Michael Belmonte anzeigen konnte. In­zwischen war auch eine "Sicherungsanordnung" gegen Gustav Belmonte ergangen.

Das Adressbuch von 1942 verzeichnete Jenny und Willibald Belmonte noch unter Eppendorfer Weg 62, obwohl die Eintragung längst veraltet war. Willibald Belmonte war bereits am 8. November 1941 nach Minsk deportiert worden. Im Juli 1942 wurden eine Geige und eine Schreibmaschine aus seinem Besitz öffentlich versteigert. Ab Mai 1942 wohnte Gustav Belmonte in der Rutschbahn 25 a, Haus 1, vermutlich zusammen mit seiner Mutter, die 1942 unter dieser Adresse gemeldet war. Bei dem Gebäude handelte es sich um ein "Judenhaus". Jenny und Gustav Belmonte wur­den am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Die tragische Familiengeschichte zeigt nicht nur, dass auch alt­eingesessene, verdiente, wohl­habende jüdische Familien von der Enteignungspolitik des NS-Regimes daran gehindert wurden auszuwandern, sondern dass gerade sie besonders unnachgiebig verfolgt wurden.

Stolpersteine existieren bisher lediglich für Gustav Abendana Belmonte und für Jenny Abendana Belmonte im Eppendorfer Weg 62. Zum Lebenslauf von Gustav Abendana Belmonte er­fahren wir noch einiges aus den Akten: Auf St. Pauli geboren, besuchte er dort die Realschule und verließ diese mit dem Einjährigen. Danach machte er eine kaufmännische Lehre bei einer Hamburger Firma und ging bis zum Kriegsbeginn 1914 als Handlungsgehilfe nach Berlin zu der Firma Orenstein & Koppel. Dann kam er zur Firma Schaefer & Scael nach Düsseldorf und wurde 1915 Soldat. Er nahm am Russlandfeldzug teil und kehrte Ende 1915 nach Deutschland zurück, wo er bei der Reichspost in Düsseldorf Arbeit als Postaushelfer fand. Anschließend arbeitete er bis 1919 bei der Düsseldorfer Geldschrankfabrik Peltz, wo er bis 1920 blieb. Später kehrte er zu seinem Vater nach Hamburg zurück und war vorübergehend in dessen Bankgeschäft tätig. Gustav Abendana hatte aber musische Interessen und war vermutlich nie wirklich zufrieden mit seinen kaufmännischen Berufen. Er trug sich mit dem Gedanken eines Musikstudiums und unterzog sich einer Ausbildung zum Schauspieler und Sänger. 1929 – im Alter von 38 Jahren – übernahm er verschiedene Handelsvertretungen, wobei er lange Zeit von seinem Vater, bei dem er zuletzt auch wohnte, finanziell unterstützt wurde. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung und Vernehmung gab er als Beruf Vertreter für Öle und Fette an. Aus einem Reisepassprotokoll aus dem Jahr 1924, als Gustav Abendana Belmonte einen Reisepass für Dänemark und Schweden beantragt hatte, ergeben sich Hinweise auf seine äußere Gestalt: Er war mittelgroß, hatte ein längliches Gesicht, dunkelbraune Augen und schwarze Haare.

Gustav Abendana Belmonte überlebte die entsetzlichen Haftbedingungen in Theresienstadt, den Hunger und die Strapazen. Doch dem Weitertransport im Oktober 1944 nach Auschwitz entkam er nicht. Dieser Transport am 16. Oktober 1944, der ungefähr 1500 Menschen umfasste, wird auch als "Künstlertransport" bezeichnet. Bis dahin hatten die Nationalsozialisten die Künstler in Theresienstadt für propagandistische Zwecke benutzt, um Theresienstadt als jüdische Mustersiedlung präsentieren zu können. Viele Musiker und Komponisten, die an der Oper Brundibar mitgewirkt hatten, wurden mit diesem Transport in den Tod geschickt.

© Susanne Lohmeyer, Astrid Louven

Diese Biographie entstand im Rahmen des Projektes „Stolpersteine in Hamburg – biographische Spurensuche“ unter Leitung von Dr. Rita Bake (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg) und Dr. Beate Meyer (Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg).