Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Bauer Luzie

Bauer Luzie

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Deutschland
Geburtsort 
Berlin
Beruf 
Hilfsschreiberin
Deportationsdatum 
1941 November 18
Unterbringung/Inhaftierung 
unbekannt
Schicksal 
Todesdatum und -umstände unbekannt
Berichtsart 
Familiengeschichte

Luzie Dorothea Bauer, geb. Ebenstein, geb.17.4.1876 in Berlin, am 18.11.1941 nach Minsk deportiert

Breitenfelderstraße 4

Luzie Bauer war die Tochter von Siegfried und Melanie Ebenstein, geb. Stern. Über ihre Kindheit und Jugend, eine eventuelle Ausbildung und das Datum ihrer Heirat ist nichts bekannt. Ihr Ehemann Leopold, geboren am 21. Juni 1869, führte ein Geschäft für Schneidereiartikel und Nähbedarf. Die beiden hatten drei Söhne: Ernst, Jahrgang 1908 (s. dort), Herbert, dessen Geburtsjahr nicht bekannt ist und der nur 11 Monate alt wurde, sowie Edgar, geboren am 29. November 1913. Als Edgar neun Jahre alt war, starb der Vater, am 8. April 1923, an Krebs. Edgar entwickelte eine enge Bindung zu seiner Mutter. "Er hing mit abgöttischer Liebe an ihr", wie ein Bekannter später aussagte. Für Luzie begannen schwierige Zeiten. Wie in der Familie berichtet wird, führte eine Verwandte das Geschäft zunächst weiter, wirtschaftete es aber derart herunter, dass es zwei Jahre später aufgegeben werden musste. Luzie Bauer blieb nichts anderes übrig, als Wohlfahrtsunterstützung zu beantragen. Die beiden Jungen bekamen einen Vormund. Die Familie lebte in der Elsässer Straße 50, in den 1930er Jahren dann in der Breitenfelderstraße 4. Luzie war eine liebevolle Mutter. Wenn die Kinder etwas angestellt hatten, drohte sie "du, du, du" mit dem Finger. Im Gegensatz zu den damals üblichen Erziehungsmethoden habe sie ihre Kinder nie geschlagen.

Das Geld war knapp. Edgar besuchte die Oberrealschule, wo er ein guter Schüler war. Die Obersekundareife erreichte er mit Hilfe eines Stipendiums. Ab 1930 absolvierte er eine zweijährige kaufmännische Lehre in der Firma Rudolf Mosse, Anzeigenexpedition, und arbeitete dort im Anschluss an die Ausbildung weiter. Seit 1929/30 war er aktives Mitglied im "Reichsbanner Schwarz Rot Gold", dem 1924 von Sozialdemokraten gegründeten Wehrverband zur Verteidigung der Weimarer Republik und deren Verfassungsordnung. Wahrscheinlich aufgrund einer Bemerkung zum Reichstagsbrand 1933 wurde Edgar denunziert und konnte sich einer drohenden Verhaftung nur durch Flucht entziehen. Er soll sich einige Tage bei Bekannten versteckt gehalten haben und reiste dann, als sein Vormund die nötigen Ausweispapiere besorgt hatte, nach Frankreich. In Paris hielt er sich mit Gelegenheitsarbeiten und mit Hilfe des Jüdischen Hilfskomitees über Wasser. Als seine zweijährige Arbeitserlaubnis abgelaufen war, flüchtete er weiter nach Brasilien und gelangte 1939 über Uruguay nach Argentinien.

Ob Luzie Bauer einen Beruf ausgeübt hat, wissen wir nicht. Auf ihrer Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde wurde als Beruf "Hilfsschreiberin" eingetragen. Im April 1938 zog sie mit ihrem Sohn Ernst in die Heinrich-Barth-Straße 8. Dort wohnten die beiden gemeinsam mit Ludwig und Olga Pick sowie deren Tochter Inge. Inge Pick konnte 1939 nach England ausreisen, ihre Eltern wurden nach Minsk deportiert. Die letzte Adresse von Luzie Bauer war das ehemalige jüdische Stift, nun "Judenhaus" Bundesstraße 35. Hier erhielt die herzkranke Frau im November 1941 bald nach ihrem Sohn Ernst den Deportationsbefehl nach Minsk. Ernst hatte im April des Jahres Inge Neufeld geheiratet. Wann die drei zu Tode gekommen sind, ist nicht bekannt. Edgar Bauer, der als Angestellter in Südamerika nur ein kleines Einkommen hatte, litt sein Leben lang an den Folgen seiner Fluchterlebnisse und daran, dass er Mutter und Bruder nicht hatte retten können. Er starb 1987 in Buenos Aires. Die Stolpersteine für Luzie, Ernst und Inge Bauer liess seine Tochter verlegen.

© Sabine Brunotte

Diese Biographie entstand im Rahmen des Projektes „Stolpersteine in Hamburg – biographische Spurensuche“ unter Leitung von Dr. Rita Bake (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg) und Dr. Beate Meyer (Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg).