Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Schwersenz Adolf

Schwersenz Adolf

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Deutschland
Geburtsort 
Wronke/Posen
Beruf 
Textilhändler
Unterbringung/Inhaftierung 
Minsker Ghetto
Schicksal 
Todesdatum unbekannt
Berichtsart 
Familiengeschichte

Adolf (Adolph) Schwersenz

* 3. April 1877 in Wronke/Posen

Martha Schwersenz, geb. Treitel

* 15. März 1880 in Wronke/Posen

Adolf (Adolph) Mendelsohn

* 24. April 1899 in Hohensalza/Posen

Erna Mendelsohn, geb. Schwersenz

* 9. Januar 1905 in Wronke/Posen

Manfred Claus Mendelsohn

* 27. April 1930 in Berlin

Donausraße 18, Berlin-Neuköln

Adolf Mendelsohn wuchs in der westpolnischen Stadt Hohensalza als Sohn von Louis und Paula Mendelsohn, geb. Haase, auf. Der Vater war Fleischermeister. Die Familie war preußisch akkulturiert und fühlte sich der bürgerlichen Gesellschaft zugehörig. Die Jüdische Gemeinde von Hohensalza zählte seit dem 16. Jahrhundert zu den bedeutendsten in Groß-Polen. Das Gebiet um Hohensalza gehörte vom Wiener Kongress 1815 bis zur Verabschiedung des Versailler Vertrags 1919 zur preußischen Provinz Posen.

Adolf Mendelsohn hatte drei Geschwister: Dorothea, Alma und Leo. Die älteste Schwester Dorothea heiratete 1920 in Berlin den aus Bad Polzin, Pommern, stammenden Sally Finkelstein, aus der Ehe gingen die Kinder Heinz und Ursula hervor. Kurz nach der Hochzeit von Dorothea zogen auch ihre Eltern und Geschwister nach Berlin.

In welchem Jahr Erna Schwersenz und Adolf Mendelsohn heirateten, ist nicht bekannt. 1930 wurde ihr Sohn Manfred Claus geboren. Seit 1935 wohnte die Familie in der Donaustraße 18 in Berlin-Neukölln. Von Beruf war Adolf Mendelsohn Textilhändler. Die Mendelsohns bewohnten eine Erdgeschosswohnung im Hinterhof, die im vorderen Bereich als Verkaufsraum für Textilien genutzt wurde. Um 1939 zogen auch die Eltern von Erna Mendelsohn, Adolf und Martha Schwersenz, geb. Treitel, in die Donaustraße 18.

Der Sohn Manfred Mendelsohn besuchte ab 1936 die Volksschule in der Boddinstraße. Günter Schubert, ein ehemaliger Mitschüler, erinnert sich noch gut an ihn. Er berichtet, dass Manfred der einzige Jude in der Klasse gewesen, dessen jüdische Herkunft aber nie ein Thema gewesen sei. Nach seiner Beobachtung wurde Manfred von Mitschülern oder Lehrern nie gesondert behandelt oder ausgegrenzt. Der Klassenlehrer Herr Fricke sei stets ein korrekter und nachsichtiger Mensch gewesen. Zwar trug er sein im Ersten Weltkrieg erworbenes Eisernes Kreuz stolz zur Schau, habe aber nie »Nazi-Töne« von sich gegeben.

Den Schulbetrieb beschreibt Günter Schubert als autoritär, trotzdem verzichtete Herr Fricke auf die Prügelstrafe, von der in der Parallelklasse durchaus Gebrauch gemacht wurde. Manfred Mendelsohn sei ein sehr lebhafter Junge gewesen, der mit seiner klaren, lauten und zur Albernheit neigenden Stimme immer vorneweg war. Seine schulischen Leistungen seien sehr gut gewesen. Günter Schubert und Manfred Mendelsohn waren nicht eng befreundet, jedoch lud Manfred in der zweiten oder dritten Klasse neben einigen anderen Kindern aus seiner Klasse auch ihn zu seinem Geburtstag nach Hause ein. Noch gut kann sich Günter Schubert an die vielen Stoffballen in den Regalen des Ladens erinnern, und auch daran, wie liebevoll Erna Mendelsohn mit den Kindern umging. Zur Feier des Tages gab es Torte – ein zu der damaligen Zeit seltener Leckerbissen.

Wenngleich es innerhalb der Klasse keine antisemitischen Stimmen gab, so entsann sich Günter Schuberts Mutter eines Gesprächs mit Erna Mendelsohn beim Abholen der Kinder von der Schule. Manfreds Mutter erzählte ihr, dass sie sich Sorgen um ihren Sohn mache. Er sei von einer Gruppe Jungen umringt worden, die ihn als »Judenbengel« beschimpft und verprügelt hätten. 1940 wurde Günter Schubert auf die Oberschule versetzt. Doch schon zuvor hatte er Manfred aus den Augen verloren: Jüdische Kinder durften seit dem 15. November 1938 keine öffentlichen Schulen mehr besuchen.

Auch für Manfreds Vater Adolf Mendelsohn brachte das Jahr 1940 große Veränderungen mit sich. Sein Geschäft wurde vermutlich »arisiert« und geschlossen. Danach musste er den Lebensunterhalt als Bauarbeiter arbeiten. Im November 1941 wurde die Familie zusammen mit Erna Mendelsohns Eltern Adolf und Martha Schwersenz ins Ghetto Minsk verschleppt. Über die Umstände der Deportation ist nichts bekannt. Im Ghetto Minsk verliert sich ihre Spur.

Adolfs Mendelsohns Eltern Louis und Paula Mendelsohn sowie seine Schwester Alma und sein Bruder Leo wurden 1943/44 ebenfalls deportiert und ermordet. Einzig Dorothea Finkelstein gelang, gemeinsam mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern, rechtzeitig die Emigration nach Kolumbien.

Am 10. Dezember 2007 wurde auf Initiative von Günter Schubert ein Stolperstein verlegt, der an der Donaustraße 18 an seinen früheren Schulfreund Manfred Mendelsohn erinnert.

Erstellt von Nadine Zoller