Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Abarbanell Irma

Abarbanell Irma

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Deutschland
Geburtsort 
Prag
Beruf 
Putzmacherin
Unterbringung/Inhaftierung 
Minsker Ghetto
Schicksal 
Seit der Deportation nach Minsk gilt als verschollen
Berichtsart 
Familiengeschichte

Irma Josefa Abarbanell, geb. Stransky

* 07. Februar 1882 in Prag/ Böhmen

Kaiserallee 111 (heute Bundesallee), Berlin-Schöneberg (1934)

Knesebeckstr. 32, Berlin-Charlottenburg (1939)

Irma Abarbanell, geb. Stransky, war eine außergewöhnliche Frau, die ein selbstbestimmtes und bewegtes Leben führte, das sie von Prag über Stettin nach Berlin brachte.

Geboren wurde Irma Stransky im Prag der 1880er Jahre. Zu dieser Zeit war Prag mit seinen Kaffeehäusern, Theatern und Musikbühnen das Zentrum des kulturellen Lebens in Böhmen. Das vielfältige Kulturleben wurde maßgeblich durch jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Kunstschaffende geprägt. Unter diesem Einfluss wuchs Irma Stransky in der Stadt an der Moldau auf. 1909, im Alter von 27 Jahren, heiratete sie den vier Jahre jüngeren Kaufmann Leopold Albert Abarbanell (* 1886 in Potsdam) und zog mit ihm nach Stettin, der Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern. Im selben Jahr, am 1. Dezember, wurde ihr erster Sohn Hans geboren. Zwei Jahre darauf folgte am 5. Juni die Tochter Ruth und im Jahre 1916, am 30. April, der Sohn Peter Klaus.

Vor dem Ersten Weltkrieg betrieb Irma Abarbanell in Stettin ein eigenes, gut gehendes Damenhutgeschäft. Ihr Beruf nannte sich zu der Zeit Putzmacherin. Das Putzmachergewerbe gehörte, wie auch der Schneiderberuf, zu den handwerklichen Tätigkeiten, die schon seit dem Mittelalter von der jüdischen Bevölkerung ausgeübt werden durften. Als Pendant zu Hutmachern, die Männerhüte herstellten, fertigten Putzmacherinnen, auch Modistinnen genannt, Damenhüte. Die Ausstaffierung von bereits geschneiderten Kleidern mit modischen Accessoires gehörte ebenfalls zu den Aufgaben einer Putzmacherin. Dass eine verheiratete Frau mit drei Kindern ein eigenes Geschäft betreibt, war zu der damaligen Zeit sehr selten. Zwar gab es zunehmend Frauen, die als Angestellte vor der Ehe ihr eigenes Geld verdienten, mit der Ehe und Familiengründung fand dies jedoch meist ein Ende.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs brachte Veränderung in das Leben der Familie Abarbanell. Während des Krieges war Leopold Abarbanell als Frontkämpfer im Einsatz. Nach Kriegsende verließ die Familie 1919 Stettin und zog nach Berlin in die Kaiserallee. Welchem Beruf Leopold Abarbanell dort nachging, ist nicht bekannt. Die Wohngegend, in der sie sich niederließen, deutet darauf hin, dass die Familie gut situiert war. In den ersten Jahren hatte Irma Abarbanell kein eigenes Geschäft angemeldet.

Aufgrund ihres Lebensstils kann darauf geschlossen werden, dass die Familie Abarbanell dem jüdischen Bürgertum angehörte. Ausbildung, Erziehung und ein kultivierter Lebensstil waren die Grundpfeiler dessen Selbstverständnisses. Auch Irma Abarbanell legte viel Wert auf die Bildung ihrer Kinder, sie brachte sie früh in Berührung mit klassischer Musik und Kunst. Peter Abarbanell war in seiner Schule stets Klassenbester, und mit Anfang 20 sprach er fließend fünf Sprachen. Obwohl er selbst nicht künstlerisch tätig war, galt seine große Liebe der Kunst. Auch sein älterer Bruder Hans wurde stark durch die Mutter und ihre Affinität zur Kunst beeinflusst. Er wählte den Beruf des Malers und Bildhauers und betätigte sich später auch als Restaurateur von Kirchen. Über den Werdegang der Tochter Ruth ist nicht viel bekannt. Wie ihre Mutter liebte auch sie die klassische Musik.

Drei Jahre nach dem Umzug nach Friedenau scheiterte die Ehe von Irma und Leopold Abarbanell. Sie ließen sich 1922 scheiden. Scheidungen waren in den 1920er-Jahren nicht sehr häufig, kamen aber unter jüdischen Eheleuten etwas öfter vor als bei Nicht-Juden. Als häufigster Grund galt, vorwiegend von Männern begangener, Ehebruch. Aus welchen Gründen jedoch die Ehe der Abarbanells gelöst wurde, ist nicht bekannt. Der Sohn Peter Abarbanell erwähnte später, es sei „die Schuld meines Vaters“ gewesen. Die Scheidung wurde zugunsten Irma Abarbanells ausgesprochen, und sie erhielt das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder. Noch im selben Jahr eröffnete Irma Abarbanell wieder einen Putzsalon in der großzügigen Wohnung in der Kaiserallee. Leopold Abarbanell zahlte jedoch nur unregelmäßig Unterhalt, und das mütterliche Geschäft brachte nicht genug Geld für die Familie ein. Das Haushaltsgeld reichte kaum aus, um die Miete zu bezahlen. Deswegen musste Irma Abarbanell das möblierte Klavierzimmer in ihrer Wohnung untervermieten, meist waren es Künstler und Musiker, die das Zimmer nutzten.

Die finanzielle Lage der Familie verschlechterte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zusehends. Ab dem Sommer 1933 fand Irma Abarbanell infolge des erstarkenden Antisemitismus keine Untermieter mehr. Auch ihre Kundinnen, für die sie Hüte herstellte, mieden sie fortan aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. In dieser schwierigen Situation entschied sie sich dazu im Januar 1934, ihre Wohnung aufzugeben, die Möbel einzustellen und mit ihrem 17-jährigen Sohn Peter in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Ihre Kinder Hans und Ruth waren zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon von zu Hause ausgezogen.

In Prag wohnte Irma bei einer ihrer Schwestern. Der Sohn Peter besuchte das örtliche Gymnasium und schloss die Schule mit der Reifeprüfung ab. Unterdessen versuchte Irma Abarbanell, in Berlin erneut Fuß zu fassen. Sie mietete sich eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Knesebeckstraße im gutbürgerlichen Bezirk Berlin-Charlottenburg und suchte wiederum nach Untermietern.

Anfang März 1935 kehrte Peter zu seiner Mutter zurück. Vergeblich versuchte er, in der Hauptstadt eine Anstellung zu finden. Zwei Monate später entschloss sich der nun 19-jährige, nach Spanien auszuwandern. Irma Abarbanell hätte sich sehr gewünscht, dass ihr jüngster Sohn bei ihr bliebe, doch in Berlin hatte er keine Zukunftschancen. Als Peter die Stadt verließ, sah er seine Mutter zum letzten Mal. In Barcelona fand er eine Arbeit als Pressefotograf bei der renommierten Presseagentur Keystone. Dort lernte er auch den Schriftsteller Hemingway kennen, der zu dieser Zeit ebenfalls für die Agentur arbeitete.

Nicht nur Peter versuchte sein Glück im Ausland. Auch die anderen beiden Kinder von Irma Abarbanell verließen Deutschland. Hans Abarbanell zog frisch vermählt mit seiner Frau Edith, geb. Karczinski, 1935 nach Prag, wo er als Restaurateur für alte Kirchen Arbeit fand. Nach Kriegsausbruch floh er wie viele andere Jüdinnen und Juden nach Großbritannien. Da er kein Visum hatte, wurde er jedoch verhaftet. Ab 1940 begann Großbritannien die aus dem Deutschen Reich stammenden Flüchtlinge in Länder des Commonwealth zu deportieren. Gemeinsam mit rund 2000 jüdischen Flüchtlingen und über 400 Kriegsgefangenen, darunter auch 200 Nazis, wurde Hans Abarbanell auf der „HMT Dunera“ nach Australien verbracht. Dort wurde er in einem Gefangenenlager in Hay, New South Wales, interniert. Wo sich seine Frau Edith zu dem Zeitpunkt aufhielt, ist unklar.

Irmas Tochter Ruth Abarbanell emigrierte 1939 in die Niederlande. Sie fand eine Anstellung als Haushilfe in Amsterdam. Am 19. Juli 1942 meldete ihre Arbeitgeberin der Polizei, dass Ruth Abarbanell spurlos verschwunden sei. Vermutlich tauchte sie unter, um der Deportation zu entgehen. Wie lange sie sich der Internierung entziehen konnte, ist nicht bekannt. Fest steht, dass Ruth Abarbanell noch im selben Jahr im Lager Westerbork inhaftiert wurde.

In Berlin verschlechterten sich Irma Abarbanells Lebensumstände zusehends. Infolge der zahlreichen antisemitischen NS-Verordnungen und des Kriegsausbruchs sah sie sich gezwungen, eine Stelle als Haushälterin und Putzfrau anzunehmen. Ab September 1941 musste sie den »Judenstern« tragen. Im November 1941 wurden ihre Wohnungseinrichtung und ihr gesamter Hausrat beschlagnahmt, und sie wurde mit dem »5. Berliner Osttransport« nach Minsk deportiert. Die Umstände, unter denen sie im Ghetto Minsk lebte, und wie sie ums Leben kam, bleiben weitestgehend im Dunkeln. Irma Abarbanell gilt seit ihrer Deportation als verschollen.

Auch über den Verbleib von Leopold Abarbanell war lange nichts bekannt. Sein Sohn Peter fand über Nachforschungen heraus, dass er während der Bombardierungen Berlins ums Leben gekommen war.

Ruth Abarbanell wurde mit dem 1. Transport aus den Niederlanden im April 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte die Inhaftierung, trug aber schwere psychische Schäden davon. Nach Kriegsende zog sie wieder in die Niederlande. Dort lebte sie in Den Haag und arbeitete als Zimmermädchen. 1963 erhielt sie die niederländische Staatsbürgerschaft. Über ihr weiteres Leben ist nichts bekannt.

Hans Abarbanell konnte nach Kriegsende aus Australien nach England zurückkehren und lebte dort mit seiner Frau Edith. 1968 machte ihn sein Bruder Peter ausfindig. Hans war in London als Kunst- und Antiquitätensammler tätig. Er stand in engem Kontakt mit dem British Museum, das in den 1960er-Jahren mehrere Stücke von ihm erwarb. 1997 kam Hans bei einem Brand in seiner Londoner Wohnung ums Leben.

Peter Abarnell arbeitete nach dem Krieg in Paris und Genf bei der Hilfsorganisation »American Jewish Joint Distribution Committee«. Das JDC fungierte nach 1945 als Zentralorganisation aller jüdischen Wohlfahrtsverbände und kümmerte sich um die überlebenden jüdischen Displaced Persons in Deutschland, Italien und Osteuropa. In Genf lernte er seine Frau Francine Jeanneret, seine spätere Frau, kennen. Er lebte mit ihr in glücklicher Ehe bis zu seinem Tod 1989.

Erstellt von Nadine Zoller