Das Ghetto Mogiljow. Die Tragödie mit den Augen von Ida Fischman
Jadwiga Gawrik, Klasse 8, Oberschule Nr. 132 „Pjotr Mascherow“, Minsk
Wissenschaftliche Betreuerin: Ljudmila Schtschenikowa, Lehrerin für Geschichte und Gesellschaftskunde
Deutschlands Krieg gegen die Sowjetunion und die Jahre der Besatzung brachten für das ganze belarussische Volk gewaltige Verluste mit sich. Aber für die belarussischen Juden Belarus waren sie eine direkte Lebensgefahr: in den besetzten sowjetischen Gebieten ging die deutsche Politik des Massenmordes an den Juden in die Politik ihrer vollständigen Auslöschung über.
Zur ersten Einführung in die Geschichte des Ghettos Mogiljow wurden für mich die tragischen Erinnerungen von Ida Fischman. Ich möchte in meinem Beitrag die Geschichte der Mogiljower Juden in diesen grausamen Zeiten verfolgen, wobei ich mich größtenteils auf ihre Aussagen stützen werde.
Ida Fischman erzählte, dass ihr Leben ebenso das der meisten Sowjetbürger am 22. Juni 1941 durch den Krieg gestört wurde. Ihre Mutter und sie gingen aus dem öffentlichen Bad nach Hause, als sie die schlimme Nachricht erreichte. Die Familie Fischman und ihre Verwandten versuchten mit einem Pferdewagen aus der Stadt zu fliehen, gerieten aber unterwegs in einem Bombenangriff, die Tochter ihres Verwandten kam dabei um und da beschlossen sie nach Hause zurückzukehren. Der Vater sagte, man brauche keine Angst vor den Deutschen zu haben, er erinnerte sich an den Ersten Weltkrieg und glaubte, dass die Hitlerfaschisten nicht so brutal seien, wie es damals in manchen Gerüchten hieß.
Im Juli näherten sich die faschistischen Truppen Mogiljow im Westen und wollten die Stadt in einem Anlauf erobern. Aber die Stadt ergab sich erst um 2 Uhr nachmittags am 26. Juli. Mogiljow lag im Besatzungsbereich der Militärverwaltung. Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung begann hier gleich in den ersten Tagen der „neuen Ordnung“ und bereits zum Jahresende 1941 lebte von den Juden kaum noch jemand.
Mit dem Anfang der Besatzung wurden im Rahmen des NS-Programms zur Ermordung von Juden sofort diskriminierende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung eingeleitet. Einie Sperrstunde wurde verhängt, sodass man ab 17 Uhr nicht mehr ausgehen durfte; die Juden wurden verpflichtet, an die Kleidung vorne und hinten gelbe sechszackige Sterne aufzunähen. Man verbot ihnen auf dem Bürgersteig zu gehen, sie wurden zu schweren Zwangsarbeiten eingesetzt. Die Einheimischen durften keinen Kontakt zu den Juden haben und insbesondere keine Lebensmittel an sie verkaufen.
Zu den ersten Großaktionen der Besatzer in Mogiljow gehörte die Registrierung der Bevölkerung Anfang August 1941. Die Erfassung der jüdischen Stadtbewohner wurde vom Vorsitzenden und drei Mitgliedern des Judenrats durchgeführt, die 6.437 Juden gezählt haben. Diese Zahl entsprach aber nicht ganz der Realität, weil während der Verteidigung von Mogiljow die deutsche Luftwaffe mehrmals die Stadt bombardiert hatte und viele Juden ihre Häuser verlassen hatten. Außerdem hielten sich einige versteckt und wollten sich nicht freiwillig melden.
Gleich in den ersten Tagen der Besatzung machten sich die Deutschen auf die Suche nach den Juden der „ersten Kategorie“, zu der die Hitlerfaschisten Menschen zählten, die den Widerstand anführen oder sich aktiv im antifaschistischen Kampf engagieren konnten und deswegen sofort ermordet werden sollten. Zur zweiten Kategorie gehörte die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung, die erst einmal zu isolieren war. Am 13. August 1941 erschienen in der Stadt Anschläge, unterzeichnet von Felizyn, ehemals Hautarzt und nun Stadtoberhaupt, also der Leiter der von den Besatzern eingesetzten Stadtverwaltung, mit folgendem Wortlaut: „Auf Anordnung des Herrn Kommandanten der Stadt Mogiljow müssen alle Personen jüdischer Nationalität beider Geschlechter im Laufe von 24 Stunden das Stadtgebiet verlassen und in den GHETTO-Bereich übersiedeln. Personen, die dieser Anordnung nicht in der vorgegebenen Frist Folge leisten, werden von der Polizei zwangsumgesiedelt, das Vermögen dieser Personen wird eingezogen“ [1, S. 148]. Darauf folgten mehrere weitere Verbotsmaßnahmen gegen die Juden: Arbeitsverbot, Verbot, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Milchküche zu nutzen, Handel zu treiben, Lebensmittel zu kaufen usw. Ich glaube, mit der Einrichtung von Ghettos wurden mehrere Ziele verfolgt, darunter die Lösung der Wohnungsfrage in stark zerstörten Städten. Daneben waren Ghettos sicherlich ein wichtiges Instrument der nationalsozialistischen Völkermordpolitik.
Zuerst befand sich das Ghetto in der Graschdanskaja-Straße im Stadtviertel Podnikolje und im September 1941 wurde es ans Ufer des Flusses Dubrowenka in den Grenzen des Bychowski-Marktes bis zur Wilenskaja-Straße (heute Lasarenko-Straße) verlagert. Das Gebiet für das Ghetto wurde vom Bürgermeister Felizyn ausgewählt. Die Umsiedlung in diesen Bereich erfolgte wahrscheinlich bis zum 30. September 1941. Die Besatzer machten den Judenrat für die Erfüllung des Umsiedlungsbefehls verantwortlich: „Die ganze Verantwortung für die rechtzeitige Durchführung der Übersiedlung der jüdischen Bevölkerung trägt der Judenrat. Die Nichterfüllung dieser Anordnung wird streng bestraft“ [2].
Das Ghetto wurde von Gendarmen und belarussischen Polizisten bewacht. Auch die Häftlinge selbst wurden zur Isolierung dieses Bereichs von der Außenwelt hinzugezogen: „Der jüdische Wohnbezirk (GHETTO) ist nach Abschluss der Übersiedlung einzugrenzen (provisorisch mit Stacheldraht) und dann von der jüdischen Bevölkerung unter der Leitung der Stadtverwaltung mit einem Holzzaun einzuzäunen.“ Das Verlassen der Ghettogrenzen war verboten: „Am Ghettotor ist ein Verbotsschild mit der Aufschrift „Jüdischer Wohnbezirk. Nicht jüdischen Bewohnern Eintritt verboten“ anzubringen.“ Also gehörte das Ghetto Mogiljow zum so genannten geschlossenen Typ [1, S. 152].
Nach der Übersiedlung ins Ghetto hatte der Judenrat binnen drei Tage die Stadtverwaltung über die von den Juden verlassenen Wohnungen und Häuser außerhalb des jüdischen Wohnbezirks in Kenntnis zu setzen.
Informationen zum Ghetto Mogiljow schöpfte ich auch aus dem Dokumentarbuch von Gennadi Schpak „Requiem für die Mutter“. Der Verfasser verwendete die Aufzeichnungen seiner Adoptivmutter Ljubow Schpak, einer ukrainischen Jüdin, die noch vor dem Krieg nach Mogiljow gekommen war. Sie erzählte, dass ab Ende August 1941 die Gestapo und die einheimische Polizei in der Stadt aktiver wurden. Neben dem Fluss Dubrowenka richteten die Deutschen ein Ghetto ein und grenzten den ganzen Bereich mit einem hohen Zaun mit Stacheldraht ein. In einem vom Kommandanten Bessel und dem Polizeileiter Schurow unterzeichneter Befehl wurde angeordnet, dass alle Juden auf dem Rücken gelbe sechszackige Davidsterne mit der Aufschrift „Jude“ tragen mussten [3].
Davon, wie die Umsiedlung ins Ghetto erfolgte, kann man aus den Aussagen von Walentina Belkowskaja, einer Zeugin der Massenmorde in der Stadt, erfahren: „An einem Tage wurden wir am frühen Morgen (es dämmerte erst) durch lautes Geschrei, Gekreische, das Weinen der Kinder und Gebell geweckt. Wir wohnten weit von der Dubrowenka, aber die Menschen schrien so laut, dass wir es gut hören konnten. Das war so schrecklich, dass man es nicht erzählen kann. Es hieß, man habe alle Juden aus ihren Häusern gejagt und sie in die Planwagen steigen lassen, die schon da standen. Sie durften nichts mitnehmen. Wer nicht gehen konnte, wurde direkt zu Hause im Bett erschossen …“ [1, S. 163].
Wie erinnert sich nun Ida Fischman selbst an diese Ereignisse? Anfang August 1941 musste die Familie Fischman ins Ghetto übersiedeln: „Die Mutter war damals 40 Jahre alt, ich war 13, mein Bruder Issaak neun und meine Schwester Zilja elf. Die Mutter glaubte noch nicht, dass es um ein Ghetto geht. „Ich gehe zu dieser Frau und wir tauschen die Häuser, in denen wir wohnen werden“, sagte sie. Natürlich kam es dann zu keinem Tausch. Noch davor kamen die Deutschen und Polizisten in unser Haus, weil unser Nachbar, selbst Polizist, den Vater angezeigt hatte. Vor dem Krieg wurde der Vater 51 Jahre alt, er litt an Asthma und wurde nicht eingezogen. Die Faschisten wollten die Mühle in einer Kolchose (sie hieß Komintern oder vielleicht Rasswet) wiederaufbauen, um Getreide zu mahlen. Sie holten den Vater, weil er Spezialist für Mühlsteine war. Der Vater reparierte die Mühle und drei Monate später töteten sie ihn.
Sehr viele Menschen wurden im Ghetto zusammengetrieben. Im Haus, in dem wir wohnten, gab es drei Zimmer und zwei Geschosse. Das Haus stand auf einer Anhöhe. Etwa zehn Familien mussten da unterkommen. In unserem Zimmer wohnten drei Familien. Es war sehr eng. Wir hatten nichts zu essen. Die Mutter ging weg und besorgte Essen. Dann begannen uns SS-Leute mit Waffen zu bewachen, das Weggehen war verboten. Wir Kinder saßen in schrecklicher Enge zu Hause. So lebten wir bis Oktober, durchgehend von den bewaffneten SS-Leuten überwacht“.
Während der geschilderten Ereignisse lag das Ghetto am rechten Ufer des Flusses Dubrowenka, das linke Ufer blieb frei. Das Ghetto zu verlassen war verboten. Man brachte jüdische Familien aus allen Stadtteilen ins Ghetto an der Dubrowenka und brachte sie in den freigewordenen und den schon von den Juden bewohnten Häusern unter. Wie oben in den Erinnerungen der Augenzeugen schon erwähnt, mussten jeweils einige Familien in schrecklicher Enge in jedem Wohnraum hausen. Meistens waren es Frauen, Alte und Kinder, weil diensttaugliche Männer ja einberufen worden waren und an der Front oder als Volksaufgebot kämpften. Der Verkauf von Lebensmitteln auf dem Gebiet des Ghettos war verboten. Enge, Demütigungen, Hunger und Hilflosigkeit, die Atmosphäre der Ungewissheit und Angst lähmten den Willen der Ghettoinsassen und schlossen einen Widerstand grundsätzlich aus. Lediglich in den ersten Wochen, als das Ghetto noch nicht bewacht wurde, flüchteten einige Gruppen junger Männer und Jugendlicher, dann, als die Massenmordaktionen anfingen, wurden bewaffnete Wachposten aufgestellt.
Als ich mich mit dem Leben im Ghetto bekannt machte, sah ich mir auch die Fotos aus dieser Zeit an, meistens von deutschen Fotografen aufgenommen. Von den Schwarzweißbildern blicken uns Menschen mit großen traurigen Augen entgegen, in denen die stumme Frage zu lesen ist: „Warum?“ Die Fotos zeigen nicht nur Szenen aus dem Alltag mit Menschen, die sich unterhalten, Sachen tragen usw., sondern ich bin auch auf Bilder gestoßen, wo Männer zu Kolonnen formiert werden und Arbeitswerkzeug in den Händen halten: als ich mich weiter über das Leben im Ghetto informierte, erfuhr ich, dass die Juden zu Zwangsarbeiten wie Straßenreinigung, Räumung von Trümmern und Bergen von Leichen herangezogen wurden.
Im September und Oktober 1941 begann man die Juden aus der Stadt und den Nachbarorten in die Garage der Dimitrow-Fabrik (künftiges Konzentrationslager), in die Häuser in der Wilenskaja-Straße, die ans Ghetto angrenzte, oder auch einfach auf ein umzäuntes und bewachtes Feldstück am Stadtrand unter freiem Himmel (wo sich heute das Hotel „Mogiljow“ befindet) zu bringen. Für eine Weile ließ man die Menschen da ohne Essen und Wasser und fuhr sie dann, erschöpft und abgequält, zur Erschießungsstätte.
Die Familie der kleinen Ida kam auch in die Fabrik und musste da mehr als einen Tag bleiben. Man kann nicht ohne Tränen den Erinnerungen von Ida Fischman an ihre letzten Stunden mit den Nächsten zuhören: „Es war so eng, dass man sich nicht einmal hinlegen konnte. Da waren Tausende Menschen. Der Bruder bat immer wieder, dass man ihm zu trinken gab. Am nächsten Tag, am 22. Oktober 1941, kamen gegen elf Uhr Lastwagen mit Plane. Es gab Schneeregen. Man zwang die Menschen, die meisten unter ihnen Frauen, sich auszuziehen. Die Gestapoleute schlugen den nackten Frauen mit Peitschen auf die Rücken und lachten. Sie suchten nach Wertsachen in der Kleidung. Man riss der Mutter den Goldring vom Finger. Ich fragte die Mutter zuerst: „Wohin fährt man uns?“ Und dann schrie ich: „Mutti, sie wollen uns erschießen! Mutti, ich will nicht sterben!“ Als man uns an den Gräben aussteigen ließ, wurde es allen klar, wohin und wozu man uns brachte. Die Mutter flüsterte mir ins Ohr: „Sag ihnen, dass du keine Jüdin bist, dass du Russin bist, dass du zufällig in den Wagen gekommen bist. Sag ihnen, du heißt Nina. Sag, dass du Belarussin bist und bei uns in der Wohnung gelebt hast.“ Sie lief zu den SS-Leuten und versuchte ihnen zu erklären: „Dieses Mädchen ist zufällig in den Wagen gekommen. Sie hat bei mir in der Wohnung gelebt und ist zufällig ins Ghetto gekommen. Sie ist nicht meine Tochter.“ Der Dolmetscher sagte zu mir: „Sag kukurusa.“ (Anm.: kukurusa - russ. Mais. Es war ein Schibboleth für Juden, die meisten von denen ein Vorderzungen-R nicht aussprechen konnten.) Ich sagte es. In unserer Familie sprachen alle sauber, ohne Zäpfchen-R. Man führte mich zur Seite.“ Idas Mutter gelang es nicht mehr, den Sohn und die zweite Tochter zu retten. Wo die schrecklichen Gruben waren und wo ihre Familie umgebracht wurde (in Polykowitschi oder Kasimirowka) weiß Ida Fischman nicht mehr. Es prägte sich ihr tief ins Gedächtnis, wie man sie an den Armen und Beinen fasste und auf einen Lastwagen warf, dann nach Mogiljow brachte und da hinauswarf. In Mogiljow fand das Mädchen die Straße, wo sie früher gewohnt hatte, und klopfte bei den Nachbarn an, sie beherbergten Ida über Nacht bei sich und schickten sie dann ins Kinderheim.
Zweimal kam Ida ins Dorf, in dem sich ihr Vater versteckt hielt, aber beim ersten Mal brachte sie es nicht übers Herz, ihm zu erzählen, dass sie alle anderen ermordet hatten. Als sie das zweite Mal im Dorf war, teilte man ihr mit, dass ihr Vater abgeholt worden war. So verlor Ida ihre ganze Familie.
Nach deutschen Berichten war Mogiljow am 19. Oktober, nach Abschluss der Mordaktionen mit den meisten Opfern, schon „praktisch judenfrei“. Aber noch einige Jahre lang, bis zum Ende der Besatzungszeit suchten die russische und die deutsche Polizei bei Razzien und Durchsuchungen sowie mithilfe von Denunzianten nach flüchtigen Juden jeden Alters, um sie zu töten.
Mit der Aufnahme ins Kinderheim war die unruhige und gefährliche Zeit für Ida noch nicht vorbei. Auch unter den eingeschüchterten und gebrochenen Waisen suchte man nach jüdischen Kindern und ermordete sie. Bis März 1942 blieb das Mädchen im Kinderheim. Sie lebte in ständiger Angst, weil fast alle jüdischen Kinder inzwischen nach und nach gefasst wurden. Man kann sich kaum vorstellen, was ein Kind empfinden sollte, das auf eine so schreckliche Weise seine ganze Familie verloren hatte und nun selbst sterben konnte, lediglich weil es zu einer „falschen Rasse“ gehörte. Ida Fischman erinnert sich: „Am 8. März 1942 kamen die SS-Leute mit einem Wagen ins Kinderheim, sie hatten eine Dolmetscherin und einen Hund dabei. Sie gingen zum Heimleiter. Dann trat der Leiter ins Zimmer, in dem ich wohnte, und sagte: „Komm, deine Tante will dich sehen, du gehst zu ihr zu Besuch.“ Ich hatte ja immer behauptet, dass ich aus einer anderen Stadt stamme, dass meine Eltern auf der Flucht von einer Bombe getötet worden wären, also kann keine Tante von mir hier sein! Später erst erfuhr ich, dass es bei der angeblichen Tante um eine Frau ging, die aus Frankreich nach Taschkent geflohen und unmittelbar vor dem Krieg zuerst nach Smolensk und dann nach Mogiljow übersiedelt war. Meine Mutter hatte ihr vieles von unseren Sachen überlassen. Als Mogiljow besetzt wurde, stellte der Bürgermeister sie an, damit sie seine Kinder in Französisch unterrichtete. Sie war es, die meine Tante spielte. Ich sagte, ich hätte keine Tante hier. „Dann“, hieß es, „zieh dich an, du kommst mit uns mit.“ Eine Erzieherin von uns, Nina, flüsterte mir zu: „Sie sind gekommen, dich zu abholen, um dich zu erschießen. Hol schnell deine Sachen, geh in die Küche und spring aus dem Fenster. Die Köchin sitzt mit dem Rücken zu dir, sie bemerkt nichts. Lauf schnell durch die Gärten weg.“ Das tat ich dann auch.“
Mogiljow wurde zu einem der Ausgangspunkte für die Ermordung von Juden im rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Mitte. Die erste Massenerschießung von 2273 jüdischen Männern, Frauen und Kindern erfolgte am 2. und 3. Oktober 1941. Die Opfer liegen auf dem Jüdischen Friedhof begraben. Am 19. Oktober wurden während der nächsten Aktion rund 4.000 Juden aus dem Ghetto ermordet. Insgesamt haben die Deutschen, Gendarmen und die Polizei allein in Mogiljow und der Umgebung über 10.000 Juden umgebracht, eine genaue Opferzahl lässt sich allerdings nicht ermitteln.
Während ich mich mit der Geschichte des Ghetto Mogiljow vertraut machte und die Erinnerungen der Zeitzeugen las, kam ich zur tiefen Überzeugung, dass man Menschen nicht nach Rassenmerkmalen unterscheiden und ganze Völker wegen Haar-, Augen- oder Hautfarbe oder auch religiöser Ansichten zum Tod verdammen darf. Wie viele begabte jüdische Menschen unterschiedlicher Berufe mussten während der Besatzung in den Kriegsjahren den Märtyrertod sterben! Dieser Verlust ist nicht nur für das jüdische Volk, sondern auch für ganz Belarus unersetzbar.
Quellenverzeichnis
Litin, A., Šenderovič, I. (Hrsg.), Istorija mogilevskogo evrejstva: Dokumenty i ljudi. Buch 2, T. 2. 2. Aufl., Mogilev 2010.
Tragedija evreev Belarusi v 1941–1944 gg. Sbornik materialov und dokumentov. Minsk 1995.
Špak, G. N., Rekviem po materi. Dokumental'naja povest'. Minsk 2000.