Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Kantor Girsch

Kantor Girsch

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Belarus
Geburtsort 
Minsk
Beruf 
Mechaniker
Unterbringung/Inhaftierung 
Minsker Ghetto, Lager in der Schirokaja-Straße, Malyj Trostenez
Schicksal 
Geflohen aus dem Lager Malyj Trostenez am 29.06.1944
Berichtsart 
Familiengeschichte

Vorkriegsleben

Girsch Mendelevitsch Kantor wurde am 24. August 1914 in Minsk geboren. Seine Eltern Mendel und Sima hatten vier Söhne und zwei Töchter und lebten in guten Verhältnissen. Nachdem Girsch Kantor 1928 die jüdische Schule verlassen hatte, arbeitete er wie sein Vater als Mechaniker in der Minsker Schuhfabrik.

Krieg

Bereits in den ersten Tagen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion und dem Beginn der Bombardierung von Minsk am 24. Juni 1941, wurde das Haus der Familie Kantor niedergebrannt. Seine älteren Brüder wurden an die Front geschickt, die verbliebenen Familienmitglieder wurden im Ghetto inhaftiert. Im Herbst 1941 wurde Girsch als Schlosser ins Lager in der Schirokaja-Straße versetzt. Aufgrund seiner Tätigkeit wurde er auch im August 1943 in das Lager Trostenez geschickt, wo er Webmaschinen zur Ausbesserung von Kleidung aufstellte. Er erinnerte sich an seine Zeit im Lager wie folgt:

"In diesem Lager gab es einen Kuhstall, Ställe und Werkstätten, in denen viele Arbeiter tätig waren. Es gab Gänse. Alles, um die SD (Sicherheitsdienst in Minsk) zu versorgen, wie es scheint. Sie säten Roggen und pflanzten Kartoffeln. Als ich mit den Lagerinsassen sprach, konnte ich bemerken, das sie aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und Polen stammten. Es waren auch viele Juden aus Minsk dabei. Also haben wir gearbeitet. Mit Transporten brachte man Menschen aus Europa. Am Bahnhof haben wir diejenigen ausgewählt, die über Fähigkeiten verfügten. Den Leuten wurde gesagt, sie sollten ihre Koffer stehen lassen, sie würden später gebracht werden. Die Menschen wurden nach Blagowschtschina gebracht und dort erschossen. Die Koffer wurden nach Trostenez gebracht. Die besten, manchmal neue Gegenstände (zehntausende von Laternen, Uhren, Brillen usw.) wurden nach Deutschland geschickt. Es gab große Mengen an Bettwäsche, dass wir ganz Minsk hätten abdecken können, aber wir bekamen sie nicht."

Girsch Kantor versuchte mehrmals aus dem Lager Trostenez zu fliehen, wurde aber von den Wächtern wieder gefangen genommen und geschlagen. Am 29. Juni 1944, kurz vor der Auflösung des Lagers, gelang ihm und einer Gruppe anderer Häftlinge die Flucht.

Nachkriegsleben

Nach Kriegsende nahm Kantor erneut eine Stelle in der Schuhfabrik in Minsk an, wo er bis zu seiner Pensionierung arbeitete. Er hatte einen Sohn und eine Tochter, die jedoch bei einem Unfall ums Leben kamen.                         

Im Jahr 1995 wurde er vom US Holocaust Memorial Museum interviewt. Im selben Jahr wirkte er in dem Film Trostenez (https://www.youtube.com/watch?v=xyLpzM-h2aA) mit, in dem er als einer der Hauptzeugen des Massakers von Malyj Trostenez auftrat.

Erstellt von Andrej Lysov und Aliaksandr Dalhouski, übersetzt von Alexander Neureiter